Stimmpflicht eines Gesellschafters (BGH, Urteil vom 10.06.1965, Az.: II ZR 6/63)

Amtlicher Leitsatz:

  • Ein Gesellschafter ist unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der gesellschaftlichen Treuepflicht nur in besonderen Ausnahmefällen gehalten, einer Erhöhung der einem geschäftsführenden Gesellschafter gesellschaftsvertraglich zugesagten Tätigkeitsvergütung zuzustimmen.

Aus dem Tatbestand:

Die Parteien und der frühere Zweitkläger sind die Gesellschafter einer im Jahre 1950 errichteten OHG. Sie sind zu je ⅓ am Gewinn und Verlust beteiligt. Der Beklagte bestimmt den Umfang seiner Mitarbeit nach eigenem Ermessen. Die Kläger dagegen sind verpflichtet, dem Unternehmen ihre volle Arbeitskraft zu widmen. Sie erhalten dafür neben ihrem Gewinnanteil nach § 5 des Gesellschaftsvertrages Tätigkeitsvergütungen von monatlich je 400 DM, die im Innenverhältnis als Geschäftsunkosten verbucht werden. Die Kläger erstreben aus mehreren Gründen eine Erhöhung der Vergütungen auf monatlich je 1 600 DM. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

Nach der Feststellung des Berufungsgerichts haben die Gesellschafter bei Vertragsabschluß nicht vereinbart, die Tätigkeitsvergütungen bei günstiger Geschäftsentwicklung zu erhöhen. Diese Feststellung entspricht dem Beweisergebnis. Mithin kann daraus, daß die Gesellschafter bei Vertragsabschluß über eine spätere Erhöhung gesprochen haben, nicht entnommen werden, sie hätten eine entsprechende Nebenabrede getroffen.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist für eine ergänzende Vertragsauslegung hier kein Raum. Denn nach diesen Feststellungen hatten die Parteien bei ihren Vertragsverhandlungen die Frage einer Erhöhung der Tätigkeitsvergütung in den Kreis ihrer Erwägungen einbezogen, aber gleichwohl sodann davon abgesehen, in den Gesellschaftsvertrag eine dahingehende Regelung aufzunehmen. Bei dieser Sachlage kann nicht davon gesprochen werden, daß der Gesellschaftsvertrag insoweit eine Vertragslücke aufweist. Denn eine solche liegt nur dann vor, wenn die Vertragschließenden für einen bestimmten Fall, der nach Sinn und Zweck ihres Vertrages eine Regelung hätte finden sollen, eine solche versehentlich unterlassen, nicht aber, wenn sie diesen Fall bewußt nicht geregelt und damit für ihn eine negative Entscheidung getroffen haben, hier also eine Erhöhung der Tätigkeitsvergütung nicht haben vorsehen wollen (vgl. BGHZ 9, 273 = NJW 53, 937).

Auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist das Klagebegehren nicht begründet. Nach der Feststellung des Berufungsgerichts hatten die Parteien bei ihren Verhandlungen vor Abschluß des Gesellschaftsvertrages auch erwogen, daß Umsätze und Gewinn sich im Laufe der Jahre erhöhen würden, sie hatten es aber trotzdem unterlassen, für diesen Fall eine Erhöhung der Tätigkeitsvergütung festzulegen. Danach kann nicht davon gesprochen werden, daß die Vertragschließenden gemeinsam oder jedenfalls der Kläger und der andere geschäftsführende Gesellschafter – und das erkennbar für den Beklagten – bei der Regelung der Geschäftsführervergütung von der Vorstellung ausgegangen sind, es würden sich in ihrem, gemeinsamen Unternehmen Umsatz und Gewinn nicht in nennenswertem Umfang erhöhen. Es fehlt somit insoweit an einer wesentlichen Voraussetzung für die Anwendung der Grundsätze vom Wegfall der Geschäftsgrandlage.

Ebensowenig kann der Kläger geltend machen, die Lebenshaltungskosten und die an leitende Angestellte zu zahlenden Gehälter hätten sich so wesentlich erhöht, daß die Tätigkeitsvergütung nicht mehr angemessen sei. Der Geschäftsführer einer Personalhandelsgesellschaft findet – wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt – nicht nur die Verzinsung seines Kapitals und ein Entgelt für das übernommene Risiko, sondern auch den „Lohn” für seine Arbeit in erster Linie in seiner Gewinnbeteiligung. Auch wo er gesellschaftsvertraglich eine vom Gewinn unabhängige Tätigkeitsvergütung erhält, bedeutet das nicht, daß diese Vergütung in einem angemessenen Verhältnis zu den Lebenshaltungskosten oder dem Gehalt eines leitenden Angestellten stehen und deshalb bei Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse neu festgesetzt werden müßte.

Bei dieser Rechtslage erhebt sich für die Beurteilung des Klagebegehrens die entscheidende Frage, ob der Beklagte unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der gesellschaftlichen Treupflicht gehalten ist, einer Erhöhung der Tätigkeitsvergütung und damit einer Änderung des Gesellschaftsvertrages in diesem Punkt zuzustimmen.

Wie der erkennende Senat wiederholt hervorgehoben hat, kann eine solche Zustimmungspflicht unter dem genannten rechtlichen Gesichtspunkt nicht schlechthin verneint werden (vgl. BGH, WM 56, 352; LM Nr. 8 zu § 105 HGB; LM Nr. 13 zu § 161 HGB = NJW 60, 434 und LM Nr. 8 zu § 138 HGB = NJW 61, 724). Dabei muß es sich aber immer um Ausnahmefälle handeln, und zwar im wesentlichen um solche, bei denen für eine verständige Weiterverfolgung des Gesellschaftszwecks eine Anpassung an veränderte Verhältnisse dringend geboten ist. Das kann in besonders gelagerten Fällen auch einmal für eine Erhöhung der gesellschaftsvertraglich zugesagten Geschäftsführervergütung in Betracht kommen, z.B. dann, wenn bei einer Gesellschaft mit zahlreichen Mitgliedern die meisten von ihnen dem einzigen geschäftsführenden Gesellschafter eine Erhöhung seiner Tätigkeitsvergütung zusagen wollen, weil seine Beteiligung an dem Ertrag des Unternehmens in keinem vertretbaren Verhältnis mehr zu seiner Tätigkeit und seinen Verdiensten steht oder weil die übrigen Gesellschafter damit rechnen müssen, anderenfalls ihren um die Entwicklung des Unternehmens verdienten geschäftsführenden Gesellschafter durch Kündigung zu verlieren und wenn nur ein Gesellschafter oder wenige sich diesen verständigen Gründen widersetzen. Grundsätzlich kann es jedoch nicht die Aufgabe des Richters sein, durch Anerkennung einer Zustimmungspflicht ändernd in einen Gesellschaftsvertrag einzugreifen, nur weil er das für billig oder angemessen hält. Das gilt in besonderem Maße für eine Erhöhung der Geschäftsführervergütung (zu weitgehend insoweit Ganssmüller, Die Tätigkeitsvergütung geschäftsführender Gesellschafter der OHG und KG S. 5/6); denn sie stellt sich praktisch immer als ein Eingriff in die von den Gesellschaftern vorgesehene Beteiligung an den Erträgnissen des gemeinsamen Unternehmens dar, die eine Verkürzung der Gewinnbeteiligung der nicht geschäftsführenden Gesellschafter zur Folge hat und im allgemeinen nicht von dem Interesse an einer Erhaltung und einer sachgerechten Fortführung des gemeinsamen Unternehmens gefordert wird.

Bei den hier gegebenen Verhältnissen kann von einem besonders gelagerten Ausnahmefall, der im gemeinsamen Interesse einen richterlichen Eingriff in die gesellschaftsvertragliche Regelung über die Geschäftsführervergütung durch Anerkennung einer Zustimmungspflicht rechtfertigen könnte, nicht gesprochen werden. Der Kläger ist, ebenso wie die beiden anderen Gesellschafter, zu einem Drittel an dem Gewinn der Gesellschaft und folglich auch an der Gewinnsteigerung beteiligt und erhält daneben eine – freilich geringe – Tätigkeitsvergütung. Diese Ertragsbeteiligung steht zu seiner Tätigkeit in keinem sachlich unvertretbaren Verhältnis, das ein richterliches Eingreifen als unumgänglich notwendig erscheinen läßt. Das gilt selbst dann, wenn man die von dem Kläger behaupteten Verdienste um das Unternehmen berücksichtigt, so daß sich das Berufungsgericht mit den vom Kläger vorgelegten Schreiben einiger Lieferanten nicht zu befassen brauchte.

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